Achtung, Realsatire! Mit unserer Web-Doku-Soap über ein fiktives Unternehmen erinnern wir uns selbst immer wieder daran, dass Kunden ebenso wie Berater auch nur Menschen sind. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist daher zufällig, jedoch keineswegs ausgeschlossen.
„Aber, Frau Dulac, ich …“ Walter Zipfelhubers Fingerknöchel waren weiß und schweißnass, so sehr hielt er den Telefonhörer umklammert. „Wollten wir nicht … kommt für Sie nicht in Frage? Ich dachte … mit wem? Herrn Marc? Sie meinen Philipp Marc? Aber nein, kein Problem: als technischer Geschäftsführer unserer US-Tochter ist er auch Mitglied der Geschäftsleitung und … ja, selbstverständlich hat er eine vollumfängliche Prokura. … Gut, dann ist Philipp Marc ab sofort Ihr Ansprechpartner für die Kooperation. Ich … ebenfalls, Frau Dulac, auf Wiederhören.“
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In dieser Nacht schlief Walter Zipfelhuber sehr schlecht. Ihm war es stets um das solide Fundament für die Zipfelwerke gegangen, und dabei dachte er in Generationen. Die Kooperation mit Bellesanté hingegen wies alle Anzeichen eines Strohfeuers auf – gut für ein paar Jahre, aber sicherlich kein nachhaltiger Beitrag zum Kerngeschäft. Jedoch blieb ihm nichts anderes übrig, wollte er die gegenwärtige Misere überstehen und Zeit für eine gründlichere Neuausrichtung gewinnen. Und obwohl er Philipp Marc für einen blitzgescheiten Umsetzer hielt, war ihm bei der Vorstellung einer Amerikanisierung der Zipfelwerke mehr als mulmig zumute. Kein Wunder, dass er am frühen Morgen aus einem Albtraum erwachte: Philipp Marc war darin plötzlich Leiter der weltweiten Produktentwicklung und mit wem Walter in seinem Traum auch sprechen wollte, Philipp war immer gerade vor ihm dort gewesen und hatte bereits etwas anderes angewiesen.
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„Good morning, Walter!“ Jasmin brachte ihm eine dampfende Tasse Kaffee. „Möchten Sie ein Donut?“
„Was haben Sie gerade gesagt, Jasmin?“ Das war noch nie dagewesen.
„Was meinen Sie, Herr Zipfelhuber?“ Jasmin blickte so unschuldig drein, dass er sich verhört haben musste. „Hier ist Ihre Butterbrezel. Und die Scorecard aus der Produktion.“
„Die was?“ Nun war Walter ernsthaft irritiert.
„Verzeihung, ich habe heute früh schon mit Herrn Marc telefoniert und bin noch ganz auf Englisch eingestellt – ich meine die aktuellen Produktionszahlen.“
Kopfschüttelnd ging Walter die Berichte durch, doch seine Konzentrationsfähigkeit war dahin.
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Patricia von Waldeck ging unruhig im Vorzimmer auf und ab. Sie war gut vorbereitet, hatte einen Plan zur Rettung der Jung & Wild GmbH ausgearbeitet. Zwar hatte sie wegen der Doppelspitze Philipp Marc noch nicht angesprochen. Aber wenn sie Walter überzeugen könnte, wäre Philipp doch sicher dabei?
Jasmin kehrte achselzuckend zurück: „Es tut mir wirklich sehr leid, Frau von Waldeck, aber ich kann Herrn Zipfelhuber nicht erreichen. Er war seit heute Morgen nicht mehr in seinem Büro – und anscheinend hat er den Termin auch gar nicht eingetragen. Ich glaube, er ist im Werk …“
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Walter Zipfelhuber streifte heute in aller Ruhe durch die Fabrik. Dafür hatte er sich seit Monaten keine Zeit mehr genommen. Und das war vielleicht ein Fehler. Seit wann arbeitete Volker mit einer Kanban-Tafel? Und wer hatte diese albernen Piktogramme auf Haftnotizen eingeführt? Gleich zweimal hatte er mitangehört, mit welchen absurden Anglizismen sich Mechatroniker unterhielten. Walter hatte offensichtlich die Zügel zu sehr schleifen lassen. Das wird sich ändern müssen.
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Patricia war Walter auf den Fersen und gar nicht mehr so weit entfernt, als ein braungebrannter Typ aus einem Büro geschossen kam und sie beinahe umgerannt hätte. Gemeinsam sammelten sie ihre verstreuten Zettel auf. Mit einem etwas gezwungenen Lächeln reichte Patricia ihm die Hand: „Sie sind doch …“
„Kruse, Gürkan Kruse, Leiter IT, hallo Frau von Waldeck.“ Er reichte ihr den letzten losen Zettel, auf dem das dick umkreiste Wort Digitalisierung nicht zu übersehen war. „Entschuldigen Sie bitte, ich möchte nicht indiskret sein, aber das Thema beschäftigt mich auch gerade.“
„Dann sollten wir uns unterhalten, Herr Kruse. Haben Sie kurz Zeit?“
Patricia steuerte Gürkan Kruse sanft zurück in sein Büro. Eine knappe Stunde angeregter Diskussion später war ihre neue Business-Idee um einiges konkreter und ausgereifter …
Bild: Didier Duforest, Flickr (CC)