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Messbar nachhaltig?

Daten und Analysen

„Die chemische Industrie macht Nachhaltigkeit messbar“ titelt UmweltDialog am 23.11.2016: ein hoch gesteckter Anspruch, dem manch einer mit Vorbehalten und Skepsis begegnen mag. Früher, so schien es, überwog in der Kommunikationsstrategie der chemischen Industrie die Rechtfertigung. Doch diese Zeiten sind vorbei, denn die Nachhaltigkeitsinitiative „Chemie hoch 3“ der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland, gemeinsam getragen vom Wirtschaftsverband VCI, der Gewerkschaft IG BCE und dem Arbeitgeberverband BAVC, setzt Zeichen.

Es lohnt sich also, sich die 40 Indikatoren etwas genauer anzuschauen, ob sie im Spannungsfeld zwischen Herausforderung und Machbarkeit bestehen können. Selbstverständlich dürfen an Status quo und Compliance orientierte Indikatoren nicht fehlen: vor der Kür kommt schließlich die Pflicht. Doch interessant sind vor allem jene Indikatoren, wo „Chemie hoch 3“ Mut beweist, indem Stakeholderdialog und Ressourcenproduktivität in die Scorecard der Chemieunternehmen aufgenommen werden.

Stakeholderdialog

Beim Indikator „Unternehmen mit öffentlicher Nachhaltigkeits-Kommunikation“ werden lediglich die schlimmsten Nachzügler zucken. Wer auch nur halbwegs mit einem bekannten Namen in der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, kam an einem Nachhaltigkeitsbericht kaum mehr vorbei. Doch inzwischen ist deren Bedeutung stark rückläufig: Die beschönigenden Geschichtchen der Öffentlichkeitsarbeit werden kaum mehr gelesen, und mangels Standardisierung und Normalisierung sind viele Kennzahlen kaum zu interpretieren.

Ganz anders sieht es aus mit dem täuschend ähnlichen Indikator „Unternehmen mit regelmäßigem Stakeholder-Austausch zu Nachhaltigkeits-Themen“. Hier beginnt Neuland, denn man kommt vom Inside-out zum Outside-in. Anstatt eigene Marketingbotschaften hinauszuposaunen, wird man sich den kritischen Fragen der Stakeholder stellen müssen. Und Experten für Markenführung haben unlängst nachgewiesen, dass dies weit wichtiger für Markenwahrnehmung und -wert ist. Diese selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Kommunikationsstrategie ist lobenswert.

Ressourcenproduktivität

Das Berichtswesen zu „Absoluten Treibhausgasemissionen (Scope 1 und 2)“ mag als alter Hut gelten, wenn auch vielfach selbst diese grundlegenden Betriebsdaten nicht konsolidiert vorliegen. Interessanter und methodisch herausfordernder sind relative Kennzahlen wie „Treibhausgasemissionen pro Produkteinheit“ und auch „Spezifischer Rohstoffeinsatz bezogen auf den Produktionsindex“. Leicht zu übersehen, werden hier wegweisende Effizienzindikatoren vom Typ Emissions- bzw. Rohstoffintensität in den Kanon der Nachhaltigkeitsberichte aufgenommen. Dass dies durchaus auch in Unternehmensführung und Management seinen Niederschlag  finden soll, belegt der Indikator „Unternehmen mit Effizienzzielen für Rohstoffeinsatz bzw. Abfallmengen“. Hier fordert „Chemie hoch 3“ heraus, erweitert die Grenzen dessen, was bislang als mit vertretbarem Aufwand als machbar galt. Gut so, denn wir sind heute dank besserer Software und deren Integration in der Lage, solche Indikatoren aus ERP-Systemen wie SAP herauszuholen, ohne dass wie in der Frühzeit der Ökobilanzierung eine aufwändige gesonderte Datensammlung erfolgen müsste. Und die Einbeziehung der Ressourcenproduktivität – gewissermaßen der ROI im Umgang mit begrenzten Rohstoffen und Ökosystemkapazitäten – in die Balanced Scorecard einer nachhaltigen Unternehmensführung ist längst überfällig.

Ausblick

Was bleibt also zu tun? Abgesehen von der Umsetzung dieses Berichtsrahmens sehe ich am ehesten Weiterentwicklungsbedarf bei den Indikatoren für soziale Nachhaltigkeit: „Aktivitäten zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit“, „Investitionen in Fort- und Weiterbildung“ und „Unternehmen mit Angebot für Gesundheitsvorsorge/-beratung“ mögen dem demografischen Wandel und dem veränderten gesellschaftlichen Stellenwert des Arbeitens wenigstens ansatzweise Rechnung tragen. Doch sind diese Indikatoren noch zu unscharf und zu träge, um Aussagen zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Branche zu unterstützen. Der Fortschritt beim Leitthema Digitalisierung gibt Hinweise, welche Arten von Indikatoren hier gebraucht werden: der Umgang mit Komplexität und schnellem Wandel, kurzum das Lernen von Menschen und Organisationen ist nach meiner Ansicht die nächste große Herausforderung für „Chemie hoch 3“.

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Datum: Nov 24Autor: Ivo Mersiowsky
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