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Keine Zeit für Kannibalen

„Als Ärztin kannst du Asthmasprays verschreiben, als Beraterin kannst du die Dreckschleudern dichtmachen. Ich will was bewegen … Findest du das naiv?“ fragt die junge Unternehmensberaterin Bianca März. Und ihr Kollege Kai Niederländer antwortet: „Überhaupt nicht! Ich finde, da bist du hier genau richtig! Mir geht‘s genauso. People, Profit, Planet: die Balance muss stimmen.“

Der Film Zeit der Kannibalen (2014) von Drehbuchautor Stefan Weigl und Regisseur Johannes Naber ist eine zutiefst sarkastische Kritik am Kapitalismus. Weigl erhält dafür im Juni dieses Jahres den Deutschen Filmpreis 2015 für das Beste Drehbuch.

Mein Freund und Kollege Matthias empfiehlt mir den Film, als wir beide noch als Berater in einem großen Unternehmen arbeiten – einem Beratungsunternehmen im Wandel, im Spannungsfeld zwischen Gewinnstreben und Verantwortung. Bianca März gibt nahezu wortwörtlich unsere Gemütslage wieder.

Woran erkennt man gute Berater, frage ich mich, während ich Trainings zur Beraterhaltung entwickle. Diese hier sind es jedenfalls nicht: sie lassen Familienunternehmen über die Klinge springen, die den geforderten Return on Investment nicht bringen. Selbst Niederländer kann es nicht glauben: „Der Kapitalismus soll die Welt retten?“ Sein zynischer Kollege Öllers meint: „Nein, der Kapitalismus soll diese Welt zerstören.“

Inszeniert wie ein Kammerspiel entsteht eine surreal überzeichnete, groteske Karikatur der Unternehmensberatung. In der Werbung als extrem komisch beschrieben hat mich der Film zutiefst beunruhigt. Oft bleibt mir das Lachen im Hals stecken. Als der Untergang die Berater eingeholt hat, verlasse ich erschüttert das Kino.

Es liegt eine perfide Logik in den Anreizen des Systems: die Akteure sind schwach und korrupt, nicht etwa böse. Im Scheitern schimmern ihre Schwächen und Träume durch. Diese Auseinandersetzung mit Menschenbild und Motivation macht den Film so sehenswert.

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Datum: Sep 29Autor: Ivo Mersiowsky
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