Smart Window: Zukunftsfähiger Fensterbau — Teil 3: Compass
Keine Zeit für Strategie?
Wenn ein Unternehmen Fenster baut, mag die gründliche Formulierung einer Strategie etwas überkandidelt wirken. Man könnte ja auch einfach beschließen, dass man in zehn Jahren immer noch Fenster baut – bessere modernere Fenster, klar, deshalb macht sich der Begriff Innovation in einem Leitbild immer gut. Aber erschöpft sich die Strategie darin, dass man besser, schneller oder günstiger als der Mitbewerber sein will? Ist ein Leitbild verzichtbar, abgesehen davon, dass man sich dem potenziellen Kunden als kompetenter und verlässlicher Partner anempfehlen will?
Wirklich deutlich wird der Wert einer Strategie erst dann, wenn sich dem Unternehmen neue Chancen bieten, wenn es in der Krise steckt oder wenn es mit einem tiefgreifenden Wandel konfrontiert wird. Die Digitalisierung ist alles drei zugleich – und obendrein schwer einschätzbar als Hype oder Technologietrend. Eine gute Strategie besteht nicht zuletzt in der Klarstellung, was das Unternehmen nicht tut. Doch wäre der Verzicht auf Digitalisierung eine erfolgversprechende Strategie?
Durchhalten statt Gestalten?
Gerade weil die Geschäfte der in Deutschland verbliebenen Fensterbauer derzeit gut laufen, überwiegt der Druck des Tagesgeschäftes: Für Strategie fehlt vielen einfach die Zeit. Auch sind die personellen Ressourcen zu knapp, um sich zukunftsorientierten Themen wie Digitalisierung und Ressourceneffizienz zu widmen.
Doch das Durchhalten im Tagesgeschäft erfordert Motivation. Und Motivation ist sehr davon abhängig, dass Menschen in ihrem Tun Richtung und Sinn erkennen. Genau diesen Sinn soll das Leitbild stiften. Wenn sich zudem im Unternehmen und in seinem Umfeld viel verändert, entscheiden die Menschen im Unternehmen neu und möglicherweise sehr unerwartet, ob sie noch dazu gehören wollen. Selbst die verbleibenden Führungskräfte und Mitarbeiter handeln ohne eine gemeinsame Strategie sehr unterschiedlich. Insofern ist ein Verschieben der Klärung und Anpassung gar nicht möglich, sondern stellt ungewollt eine schlechte Strategie dar.
Leitbild
Das Leitbild beschreibt das Wesen des Unternehmens und einen Gestaltungsrahmen – es umfasst folgende Bausteine:
- Die Vision ist ein konkretes und begeisterndes Zukunftsbild, wie die Welt des Unternehmens in etwa zehn Jahren aussieht.
- Die Mission bringt den Unternehmenszweck, die gesellschaftliche Verantwortung und das Geschäftsmodell prägnant auf den Punkt.
- Die Werte spiegeln die Unternehmenskultur wider und dienen als gemeinsames Selbstverständnis und zur Orientierung.
Strategie
Strategie bedeutet nach Michael Porter nichts weiter, als eine Entscheidung zu treffen, was das Unternehmen erreichen will und wie es seine strategischen Ziele erreichen will. Diese vorausschauende und langfristige Festlegung beruht auf der Beschreibung der strategischen Herausforderungen, die ein veränderliches Umfeld mit sich bringt. Damit stimmige Maßnahmen gewählt werden, sind zwei Perspektiven in Einklang zu bringen:
- Eine marktorientierte Strategie (von außen nach innen) zielt darauf ab, das Unternehmen vorteilhaft zu positionieren. Digitale Technologien können moderne Planungs- und Konsumgewohnheiten unterstützen. Mängel und Verstöße hingegen beschädigen die Reputation und verursachen Schadenskosten.
- Eine ressourcenbasierte Strategie (von innen nach außen) will Wettbewerbsvorteile über betriebliche Ressourcen und Kernkompetenzen erreichen. Digitale Technologien können die Transparenz und Effizienz erhöhen. Ineffiziente Produkte und Prozesse hingegen erhöhen den Ressourcenaufwand und schmälern den finanziellen Handlungsspielraum.
Zukunftsfähig werden
Dem deutschen Fensterbau stehen turbulente Zeiten bevor. Für die viele Fensterbauer sehen die möglichen Zukunftsperspektiven mittelfristig wie folgt aus:
- Sie werden von aggressiveren Mitbewerbern aus dem In- und Ausland vom Markt verdrängt.
- Sie werden von größeren Unternehmen aufgekauft.
- Sie verlegen sich auf den Handel mit Fenstern anstelle deren Herstellung.
Da vielfach ohnehin ein Generationswechsel in der Unternehmensführung ansteht, kann diese Sollbruchstelle in der Firmengeschichte genutzt werden. Für eine Klärung der Strategie und ggf. einen Strategiewechsel, gerade mit Blick auf die Digitalisierung, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.
Die Ist-Situation des Unternehmens ist der Ausgangspunkt. Dabei ist wichtig, dass die Klärung der Strategie die Kernkompetenzen des Unternehmens berücksichtigt. Die Kernkompetenzen sind komplexe Bündel von menschlichen und organisatorischen Fähigkeiten, die das Unternehmen unverwechselbar machen. Dazu gehören beispielsweise eine besonders gute Beziehung zu regionalen Architekten, die nachgefragte Beratungsleistung der Planungs- und Serviceabteilung, ein ausgefuchster Lieferprozess für Ersatzteile, eine starke Mannschaft von Auszubildenden mit ausgeprägter Digitalkompetenz usw.
Veränderungen im Umfeld
Die strategische Analyse sollte außen beginnen:
- Kundenwünsche: Worauf kommt es Ihren Kunden bei Kauf, Installation und Wartung von Fenster wirklich an?
- Marktentwicklung: Was bedeutet es für Ihr Geschäftsmodell, wenn neben osteuropäischen und asiatischen sogar regionale Mitbewerber die Preise unterbieten?
- Gesetze und Normen: Wie werden die absehbar strengeren Pflichten zu mehr Transparenz bei Gesundheits- und Umweltinformationen durch eine weiter entwickelte Gütesicherung umgesetzt?
- Megatrends: Was bedeuten soziale Netzwerke und Online-Handel für den Fensterbau?
Insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung sollten der aktuelle Stand und die bestehenden Möglichkeiten umrissen werden. Dabei sind stets zwei Leitfragen zu stellen: Was bringt Ihren Kunden möglichst großen Nutzen? Was passt zu Ihrem (künftigen) Unternehmen? Deshalb sind allgemeine Reifegradmodelle zum Stand der Digitalisierung nur eingeschränkt nützlich. Sowohl der Nutzen als auch die Passung können durchaus bereits bei einem geringeren Digitalisierungsgrad optimal sein. Dies entspricht dem Gedanken der Ressourceneffizienz – Nutzen und Aufwand der Digitalisierung müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
- Sind überhaupt Daten verfügbar? Können durch den Einsatz von Sensoren und eine Vernetzung neue Daten gewonnen werden?
- Werden Daten bereits genutzt? Kann eine Automatisierung und Selbstregelung erfolgen?
- Wird aus Daten gelernt? Lässt sich durch intelligente Algorithmen eine Selbstoptimierung erreichen?
Diese drei Fragen beziehen sich auf alle drei folgenden Handlungsfelder, so dass eine tabellarische Darstellung sinnvoll ist:
- Produkt: Inwieweit kann und soll das Fenster beispielsweise sich selbst steuern, eine Verschleißprognose und Wartungsanforderung stellen oder als digitales Anzeigegerät im Gebäude kommunizieren?
- Prozess: Inwieweit kann und soll die Auftragsabwicklung über Webshops erfolgen, Robotik in der Fertigung eingesetzt werden, Lieferung und Einbau über Nacht garantiert werden?
- Geschäftsmodell: Inwieweit kann und soll ein Wechsel vom Hersteller zum Händler erfolgen oder auch ein Schwerpunkt bei Wartung und Services?
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Strategie umsetzen und anpassen
Ein gewisser Zynismus gegenüber großen Worten wie Leitbild und Strategie, Digitalisierung und Ressourceneffizienz mag nachvollziehbar sein. Doch darf das nicht zum Nichtstun verleiten. Zwar sind all diese Konzepte nur so gut, wie sie gelebt werden – doch eben das macht den Unterschied aus. Deshalb kommt es ganz auf die Führungskräfte an, was sie aus der Strategie machen und damit das Überleben und den Erfolg ihres Unternehmens bestimmen. Empfehlenswert ist [VDI 2018]:
- Binden Sie Ihre Mitarbeiter in die Digitalisierungsstrategie ein: Zwar sind Strategie und Digitalisierung Chefsache. Doch das bedeutet keinesfalls, dass die Mitarbeiter des Unternehmens nicht daran zu beteiligen wären. Im Gegenteil: Je frühzeitiger und je intensiver die Betroffenen zu Beteiligten werden, desto höher werden Akzeptanz, Vertrauen und Bereitschaft sein.
- Kommunizieren Sie die Digitalisierungsstrategie: Wie wichtig die Transparenz der Planung und die regelmäßige und klare Information in Zeiten des Wandels ist, kann nicht genug betont werden. Gerade wenn Führungskräfte den Sinn und Zweck von Veränderungen erläutern, sind Haltung, Sprache und Anschlussfähigkeit ausschlaggebend. Wirklich nachvollziehbar werden solche grundsätzlichen Veränderungen erst, wenn man sich im Dialog damit auseinandersetzt. Andernfalls ist es nicht verwunderlich, wenn die Mitarbeiter die Maßnahme nicht verstehen, sich dem Prozess verweigern und ihr Verhalten nicht ändern.
- Gehen Sie konstruktiv mit Widerstand um: Nicht alle Mitarbeiter werden sogleich von den anstehenden Veränderungen begeistert sein. Setzen Sie sich also genau mit den entstehenden Konflikten auseinander: Welche wichtigen Erwägungen in der Sache können Sie noch berücksichtigen? Welche attraktive Vision bietet Ihr neues Leitbild? Was erfahren Sie darüber, was Ihre Mitarbeiter sonst noch motiviert oder demotiviert? In welchen Bereichen sind sie aufgeschlossen für Lernen und Entwicklung? Wie können Sie den Unwillen verringern, Gewohnheiten zu verändern, indem Sie erste einfache Schritte aufzeigen? Wie entsteht eine selbstverstärkende Dynamik, indem alle mitmachen wollen? [Heath & Heath 2010]
- Bleiben Sie flexibel: Vielleicht haben wir das Thema Strategie in der Vergangenheit mit zu viel Ehrfurcht behandelt und damit auch die eingangs beschriebene Zurückhaltung herbeigeführt. Tatsache ist, dass eine Strategie zwar langfristig ausgerichtet ist, aber keinesfalls über lange Zeiträume unangetastet bleiben muss. Wenn wichtige Annahmen sich als unzutreffend erweisen, wenn die Strategie an die schneller werdenden Veränderungen auf den Märkten und deren Spielregeln angepasst werden muss, dann ist das völlig in Ordnung. Die Gelassenheit und Bereitschaft zur wiederholten Nachbesserung ist ein Kennzeichen der agilen Haltung, die Ihre strategische Unternehmensführung sogar stärkt. Ihr Leitbild gibt Ihnen dabei einen Kompass, der einen stetigen Kurs auch bei veränderlichen Winden ermöglicht.
Digitalisierung und Strategie mit Augenmaß
Eine Digitalisierung ohne Strategie kostet nicht nur Fensterbauer wertvolle Ressourcen wie Geld und Arbeit, auch der erwartete Nutzen bleibt dann aus. Doch weder die Digitalisierung noch eine Überarbeitung der Strategie sind verzichtbar. Eher sind die Veränderungen in der Fensterbaubranche und die Digitalisierung des Umfeldes zum Anlass nehmen, die Strategie – einschließlich der eigenen digitalen Transformation – gründlich zu überdenken. Ein klares Leitbild, also das Bewusstsein für den Unternehmenszweck, hilft bei der Entscheidung, was und wie weit digitalisiert werden soll. Sich der gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens bewusst zu sein, vermeidet unverhältnismäßigen Aufwand, dem kein deutlicher Kundennutzen mehr gegenübersteht. Das Nutzen-Aufwand-Verhältnis für eine durchdachte Digitalisierungsstrategie hingegen dürfte überraschend deutlich positiv sein.
Literatur
- Heath, C.; Heath, D.: Switch – How to Change Things when Change is Hard. Currency, 2010.
- VDI: Statusreport Digitale Chancen und Bedrohungen – Geschäftsmodelle für Industrie 4.0. Düsseldorf, Mai 2016.
- VDI: Statusreport Digitaler Transformationsprozess im Unternehmen. Düsseldorf, April 2018.
Die zehnteilige Artikelserie Smart Window: Zukunftsfähiger Fensterbau wendet die Themen der FOM-Vorlesung Führung & Nachhaltigkeit auf den Fensterbau an. Sie richtet sich daher zum einen an Führungskräfte in Unternehmen des mittelständischen Fensterbaus, die sich für nachhaltige Unternehmensführung und das Innovationsforum Smart Window interessieren; zum anderen an berufsbegleitend Studierende, die Anwendungsbeispiele für die Lehrinhalte suchen. Hier die Übersicht der bisher veröffentlichten Themen:
Teil 1: Leadership – Bei guter Führung … bloß nicht vorzeitig entlassen!
Teil 2: Principles – Prinzipientreu und doch wandelwillig
Teil 3: Compass – Gute Aussichten durch smarte Fenster
Teil 4: Analysis – Mehr Durchblick mit besseren Daten
Teil 5: Controlling – Grüner Controlletti
Teil 6: Accountability – Antworten für Morgen
Teil 7: Power – Führung Macht Fenster
Teil 8: Diversity
Teil 9: Ethics
Teil 10: New Economy