In Kürze mache ich mich wieder einmal auf die Reise in die Berge Südtirols. Auf Wandertouren erlebe ich so ein erhabenes Gefühl, als würde ich auf das Dach der Welt hinaufsteigen. Von oben betrachtet erscheinen mir meine Sorgen viel kleiner, mein Leben wertvoller, mein Denken und Tun hingegen unbedeutender. Ich empfinde Demut, komme zur Besinnung, fühle mich wohl. Zum Wohlergehen tragen auch die Sauna danach, besseres Essen und mehr Schlaf bei. Außerdem erlebe ich Geselligkeit und Geschichten bei der Marende (so nennt der Südtiroler meine Fofftein) mit Vintschgauern, Speck, Bergkäse und Wein.
Was wäre, wenn ich nun auf dieses Unterfangen meine Vorstellungen von nachhaltiger Unternehmensführung anwende? Längst ist Bergwandern ein Produkt im Erlebnistourismus, abwegig ist die Betrachtung also nicht. Ich wende mich daher an mein Inneres Team, das mir für mein Gedankenexperiment als Geschäftsleitung dient.
Wir haben es mit einem komplexen, mehrdimensionalen Dienstleistungsprodukt zu tun, das von emotionalen Nutzenkomponenten dominiert wird, erklärt mein VP Marketing, fast so wie eine Gesundheits-App … Aber eben auch nur fast, finde ich, und übergehe seinen Vorschlag einer Virtual Reality Implementierung.
Mein CFO bietet mir eine finanzielle Bewertung des Produktes an: Umsätze und Gewinne mit geführten Touren machen nicht wirklich viel her. Er fragt mich, ob wir nicht lieber Segeltörns anbieten sollen. Mein Hamburger Herz schlägt schon irgendwie höher – aber ich will eben eine Bergtour, total irrational. Außerdem, entgegne ich, leiden die Quartalsergebnisse ebenso unter jahreszeitlichen Zyklen – das versteht mein Chefcontroller.
Jetzt meldet sich mein VP Sustainability zu Wort. Er hat eine Ökobilanz der Touren im letzten Jahr durchgeführt. Der Energieaufwand ist leicht rückläufig, und der Materialverbrauch so schlimm nun auch wieder nicht. Unser Beitrag zum Alpine Littering ist minimal, denn ich halte meine Taschentücher beim Schnäuzen fest, was den vielen anderen Wanderern offensichtlich nicht gelingt. Aber irgendwie fände ich es nützlicher, wenn die Ökobilanz mich bei der Planung der nächsten und noch besserer Touren unterstützen würde.
Und damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt strategische Planung. Die Auswahl des richtigen Ziels ist wesentlich: attraktiv und herausfordernd soll es sein, nur so hat mein Führungsteam einen klaren Fokus. Mein großes Vorhaben ist eine Mehrtageswanderung auf dem Meraner Höhenweg, rund um die Texelgruppe. Welche Gipfel bringen am meisten Gewinn, fragt mein CFO? Mein COO wirft sofort die Frage auf, ob wir ein Basislager benötigen: Almhütte oder Wellnesshotel? A propos, bringt sich mein VP Human Resources ein, brauchen wir nicht doch mal einen Kletterkurs? Oder sollen wir Sherpas anheuern – und wenn ja, was müssen die Sherpas von Morgen für Herausforderungen meistern, die wir heute noch gar nicht kennen?
All diese Fragen! Ich will meine Bergtour, um die Logistik soll sich mein Führungsteam kümmern. Ich wende mich dem Organisationsberater zu: loslassen, meint er lakonisch. Bei der Gelegenheit könnten wir gleich von Hierarchie auf agiles Management wechseln. Es hört ohnehin niemand mehr auf mein Kommando. Die Sherpas treffen sich gerade zum Scrum. Jetzt wird mir allmählich blümerant.
Was macht denn der Wettbewerb bei solchen strategischen Vorhaben? Als Benchmark habe ich mir Reinhold Messner ausgesucht, ein in derselben Region ansässiges Unternehmen. Markus Lanz hat ihn mal gefragt, ob sein Bergsteigen nicht völlig nutzlos sei. Darauf antwortet Reinhold Messner: „Ich lege in dieses Tun Sinn hinein.“ (Reinhold Messner bei Markus Lanz, Sendung am 04.12.2012). Das ist mein Job, und dafür sollte ich zunächst einmal raus aus dem hektischen Managementalltag: am besten in die Berge! Nachhaltige Unternehmensführung? Das bedeutet für mich, innezuhalten und Sinn zu stiften.
„Und wenn ich zwei, drei Jahre lang mit dieser Idee lebe, dann ist es das Sinnvollste, was es auf der Welt gibt …“
(Reinhold Messner, ebd.)