Bestimmt kennen Sie auch eine Firma, die sich selbst als Lösungsanbieter bezeichnet? Als ich in der Chemieindustrie tätig war, habe ich von meinem Unternehmen auch gern so gedacht. Ein Hersteller von Grundstoffen – Lösungsanbieter? Ambitioniert, ich weiß – denn es war der Ausdruck einer Sehnsucht inmitten eines sehr industriekritischen Zeitgeists.
Ich wollte gerne glauben, dass industrielle Produktion nicht einfach nur dazu dient, Tonnen von Stoffen herzustellen und in Euros umzuwandeln. Besser gefielen mir die Geschichten meiner Kollegen, die stolz auf ihren gesellschaftlichen Beitrag waren. Sie erzählten mir, was Chemie leistete, um die Lebenssituation von Menschen zu verbessern: beispielsweise der Einsatz von Chlor, um sauberes Trinkwasser zu gewinnen; und Kunststoffrohre, um es zuverlässig zu den Haushalten zu bringen.
Erst daraufhin konnte meine Arbeit als Ökobilanzierer beginnen: zu analysieren, ob die Lasten dieser Produktsysteme in einem ausgewogenen Verhältnis zu ihrem gesellschaftlichen Nutzen standen. Ob wir tatsächlich erschwingliche Lösungen für sehr viele Menschen bieten können – ohne böses Erwachen? Es durfte nicht sein, dass wir unverhältnismäßige Risiken an anderem Ort und zu anderer Zeit stillschweigend in Kauf nahmen. Nur mit diesem Gleichgewicht aus gesellschaftlichem Nutzen und Verantwortung macht Industrie Sinn, dachte ich mir.
Mit den Jahren stellte sich die Erkenntnis ein, dass wir in der Industrie manchmal hinter diesem hehren Ziel zurückblieben. Auch nach Berücksichtigung des Nutzens blieb unter dem Strich so manches Problem. Wir nehmen die Erschöpfung begrenzter Rohstoffreserven und ein Aufkommen von Restabfällen in Kauf, wenn wir keine Stoffkreislauflösung bieten. Wir nehmen Verkehrsinfarkte, Verkehrslärm und Verkehrstote in Kauf, wenn wir keine nachhaltige Mobilitätslösung bieten. Für einige Marktteilnehmer mögen wir Lösungsanbieter sein, doch für andere Interessengruppen sind wir Problembeschaffer. Bis zu einem gewissen Maß ist das unvermeidlich, sagt die Thermodynamik, doch es unterstreicht die Notwendigkeit von Interessenausgleich und unternehmerischer Verantwortung.
Denn allzu oft blieben bessere Lösungen auf der Strecke, um niedrige Preise zu unterbieten, Personalkosten einzusparen und Aktionäre kurzfristig zufrieden zu stellen – oder auch, um vermeintlichen Ökokriterien zu gehorchen. Welch ein Missverständnis von Wettbewerbsfähigkeit! Die in der Sache oft berechtigte Kritik einiger Verbraucher- und Umweltschutzverbände bewirkte auch eine Diskreditierung von Unternehmensnamen und Marken. Folgerichtig waren Bemühungen um Nachhaltigkeit oftmals nur Korrekturen am Unternehmensimage: wohlfeile Aktionen, die nichts mit den Produkten zu tun hatten – ein Lösungsanbieter zu sein, wurde Marketingsprech.
Für mich kann unternehmerische Verantwortung nur im Kontext des Unternehmenszwecks betrachtet werden: das Verhältnis von Lösung und Problemverlagerung lässt sich also nur für ein spezifisches Produkt im Lichte seiner Anwendung abwägen. Chlor ist kein böser Stoff (wie selbst manche Autorität behauptete), und Kunststoffrohre werden unter vielen Gegebenheiten die beste Lösung sein, aber vielleicht nicht immer. Ein Kraftfahrzeug kann derzeit und je nach Randbedingungen eine vertretbare Lösung darstellen. Diese Schattierungen zu erforschen, stellt eine ebenso reizvolle wie herausfordernde Managementaufgabe dar. Geht und findet heraus, welche Menschen unter welchen Bedingungen eure Produkte einsetzen, forderte schon Henry Mintzberg die Teilnehmer seiner Managementausbildung auf.
Vor der Industrialisierung – und selbst heute noch im Kunsthandwerk – besteht eine innige Beziehung zwischen Mensch und Produkt: unmittelbar an der Schnittstelle zwischen Vision und Publikum zu arbeiten. Heute sind am ehesten Produktmanager an dieser Schnittstelle tätig. In arbeitsteiligen Organisationen ist zunächst der Unternehmenszweck zu klären, brauchen wir Prozesse, um die Zusammenarbeit von Menschen zu regeln. Doch letztendlich entscheiden Menschen miteinander, was sein soll. Indem sich unser Wirtschaftssystem zunehmend von der Profitorientierung zur Sinnorientierung wandelt, sollten wir auch in der Industrie weiter danach streben, Lösungsanbieter zu sein …